Einige
Bemerkungen zur Entwicklung alternativer Hemmungen / Pendel bei
späteren deutschen Präzisionspendeluhren (PPU)
Unwiderlegbar ist die Genauigkeit, die Riefler mit seinen Pendeln und
Uhren am Anfang des 20. Jh. erreichte. Sie wurden nur an bedeutenden
Sternwarten und wissenschaftlichen Institutionen geliefert.
Rieflers Methode, optimale Genauigkeit in Uhren zu erzielen, entstammte
dem Gehirn eines Ingenieurs und nicht eines herkömmlichen
Uhrmachers. Die letzten waren oft mehr mit der Finissage der
Materialien und Einzelteile (z.B. einfacher Schrauben)
beschäftigt
als mit Entwicklungen neuer Techniken. (Ein berühmter
englischer
Taschenuhrhersteller des 20. Jh. äußerte sich wie
folgt
über ein im 19. und 20. Jh. elitäres, deutsches
Uhrmacherzentrum: „All finish and nothing new!“.
Dagegen
ein deutscher Händler für Präzisionsuhren
„eine
Schraube in einer Riefler Uhr ist eine gute Schraube, in einer Uhr von
Strasser dagegen ein Kunstwerk“.)
M.E. resultiert die erzielte Genauigkeit aus der Qualität der
Pendel. Die Firma Riefler lieferte wesentlich mehr Pendel für
Uhren anderer Manufakturen, als komplette Uhren eigener Manufaktur.
Nichtsdestoweniger werden auch die Uhren der Firma Riefler mit den von
Sigmund Riefler erfundenen Hemmungen als die genauesten astronomischen
Präzisionspendeluhren mit mechanischen Hemmungen bis zur
Einführung der Uhrenanlagen von Shortt und
später Fedchenko [1] geschätzt. Es stellt
sich die
Frage, z.B. prozentual gerechnet, in was für ein
Verhältnis die Genauigkeit des Pendels zu der Genauigkeit der
Hemmung und des Räderwerkes steht. D.h. welche
Komponente
beeinflusst die Genauigkeit am meisten? Was nützt es Schrauben
schwarz zu polieren und zu anglieren, Räder zu vergolden? Kann
es
sein, dass Uhrmacher sich an tradierten Formen gedankenlos festhielten?
Trotz seinem relativ kurzlebigen Einsatz stellte das Riefler H-Pendel
mit Temperaturkompensation über eine Quecksilbersäule
in der
Pendelstange eine logische Verbesserung gegenüber der seit
Grahams
Zeiten gebräuchlichen Art, das Quecksilber in einem kurzen,
breiten Glaszylinder als Pendelgewicht unterzubringen. (Zugegeben
– manche Uhrmacher bedienten sich bis zu 4 kleinerer
Glaszylinder
nebeneinander; und Dent verwendete ein Quecksilberpendel, bei dem das
untere Ende der Stange in einem schmalen, gusseisernen, mit
Quecksilber gefüllten Zylinder einragte, um die
Temperaturanpassung der einzelnen Komponenten zu beschleunigen und
somit die Kompensation zu optimieren). Das Quecksilber in der
Pendelstange selbst unterzubringen, damit die Temperaturanpassung
optimiert wurde mit dem zusätzlichen Vorteil, dass eine
dünnere Quecksilbersäule die Raumtemperatur schneller
als ein
dicker Zylinder annimmt, erfand der Ingenieur Riefler. Warum kam keiner
früher darauf? Das Riefler’sche Quecksilberpendel
war trotz
seinem Erfolg jedoch nach der Erfindung von Invarstahl von Guillaume im
Jahre 1897 bald überholt. Wieder war es Riefler, der als
erster
die bahnbrechenden Vorteile erkannte und diesen Stahl mit etwas
Überarbeitung für seine Pendel verwendete. Auch diese
Pendel
wurden in der ganzen Welt für die genauest gehenden Uhren
eingesetzt.
Wohl unzufrieden mit den Ergebnissen der traditionellen Uhrenhemmung
machte sich Riefler auch hier an Verbesserungen. Seine erste, und noch
am häufigsten anzutreffende Hemmung, gehört zu der
Gattung
der Federkrafthemmungen. D.h. der Impuls zum Pendel erfolgt nicht
direkt vom Räderwerk wie bei den traditionellen Hemmungen
(Graham,
Scherenhemmung usw.) sondern von einer Feder, die ihrerseits vom
Räderwerk gespannt. Somit soll eine konstante Kraft
– also
ein gleichbleibender Impuls ohne Einfluss von
Unregelmäßigkeiten in der Getriebekette des
Räderwerks
- erzeugt werden. Vergleichbar sind die Schwerkrafthemmungen,
die
im 19. Jh. von Verité in Paris, Mudge, Bloxam und zuletzt
Dennison in England oder Tiede in Berlin und Gutkaes und
Lange in
Dresden verwendet wurden, um eine konstante Kraft zu erzielen. Die
erste Federkrafthemmung von W. Hardy in London wurde anfangs sehr
gelobt aber erwies sich nach kurzer Zeit als Misserfolg. Die
Zuverlässigkeit einer Feder ist über einem
längeren
Zeitraum (mir jedenfalls) fragwürdig. Durch Rieflers Erfindung
der
Federkrafthemmung kam vielleicht die Eliteuhrmacherschule in
Glashütte in Zugzwang. Als Antwort darauf erfand
Professor
Strasser seine Federkrafthemmung, die auf der Basis der Grahamhemmung
für einen traditionellen Uhrmacher eher nachvollziehbar war
und
erzielte genauso gute Ergebnisse mit einem technischen und in der
Herstellung einfacheren Aufwand. Strasser betonte nichtsdestoweniger
die nach wie vor hervorragenden Ergebnisse der genau
ausgeführte
Graham Hemmung. (Die Qualität der Pendel von Strasser und
Rhode
erreichte trotz der Verwendung von
Invarstahlstäben beim
weiten nicht die Qualität der Pendel von Riefler, wie Wannach
in
Hamburg betonte!) [2] Bekannt sind bei der Strasser Hemmung 2
Fälle, wo der Gang der Uhr eventuell versagte, weil die
Impulsfedern der doppelten Pendelfeder ermüdeten. In der
Praxis
ist die Federkrafthemmung von Riefler beim Ersatz oder
Veränderung
der Pendelfedern (oder auch Ermüdung?) extrem empfindlich.
Angegeben von Riefler wird eine theoretische Pendelstärke von
0,11
mm, obwohl manche Uhren in der Praxis mit abweichenden
Federstärken erst zuverlässig funktionieren.
Bemerkenswert auch ist die Tatsache, dass fast alle
Komponenten
der Riefler Federkrafthemmung verstellbar sind. Dies wäre in
Prototypen durchaus verständlich, aber für die
Produktion
sehr umständlich. Es wirft natürlich die Frage auf,
ob nicht
die Einstellung der Hemmung letztendlich empirisch entwickelt und im
Einzelfall individuell eingestellt werden musste. Wie hat Riefler z.B.
die angegebene 12° Neigung der Ruhflächen der
Rubinstifte
ermittelt?
Die öftere Verwendung der Federkrafthemmung in
Präzisionspendeluhren bleibt ein deutsches Phänomen.
Die
Strasser Hemmung genoss eine gewisse Akzeptanz und wurde von anderen
modifiziert. Eine logische Vereinfachung erfolgte durch Trapp in
Glashütte. Sartori in Wien verband die Anker direkt mit der
Pendelfeder in einer gestürzten Version der Hemmung (hier
greift
der Anker über 11½ Zähne statt
7½).
Warum hat Riefler seine Schwerkrafthemmung entwickelt? Sie beruht auf
demselben Prinzip wie die anderen aber er verwendet, wie in der
Federkrafthemmung, sein Doppelrad und die 2 Rubinstiftpaletten.
Vielleicht sind diese Komponenten in ihrer Einfachheit das genialste
von Rieflers Hemmungen – und in der Herstellung
gegenüber
die traditionellen Paletten z.B. bei der Strasser Hemmung einfacher.
Die Schwerkrafthemmung wurde in den genauesten Uhren von Riefler
später eingebaut. Vermutlich war sie letztendlich
überzeugender, wesentlich einfacher in der Herstellung und
Einstellung, und dadurch besser (?). Nichtsdestoweniger haben die
Schwerkrafthemmungen inhärente Unzulänglichkeiten
nicht nur
bei Riefler. Die Lagerung der Schwerkraftarme unterliegen den Einfluss
der Reibung in ihren Lagern, und der Abstand zwischen den 2
Lagerungspunkten jeder Arm bleibt zwangsmäßig
relativ kurz
im Verhältnis zu der Länge der Arm (bzw.
Palette).
[1] Feodosiy Michaelovich Fedchenko.
[2] Hans Jochen Kummer, Ludwig Strasser, Ein Uhrenfachmann aus
Glashütte, Präzisionsuhren aus Sachsen,
München 1994,
ISBN 3-7667-1122-9. S. 42.
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